1000-sterne.de - Ulf Müller
1000-sterne.de   -   Ulf Müller

Norwegen im Winter

Im Sommer ist Norwegen langweilig. Grüne Hügel über die Renntiere stolpern, rauschende Wasserfälle und dann das viele Licht!

 

Um wieviel schöner ist dieses Land im Winter? Wenn es nur zwei Farben gibt: weiß und blau. Ah ja, nicht zu vergessen das bunte Polarlicht, das sich lautlos über den Himmel ausbreitet.

 

 

die Überfahrt

45 Minuten vor Fährabfahrt erreichen wir den Hafen von Hirtshals und können sogar noch ein Ticket kaufen. Naja, etwas teurer als bei Online-Buchung, aber immerhin: sie nehmen uns mit. Eigentlich ist es nicht erstaunlich: das Schiff ist halbleer und gemeinsam mit uns entern gerade mal – lasst mich zählen – zwei Wohnmobile den Laderaum. Auch Laster und PKWs halten sich in übersichtlichen Mengen.

Irgendwie scheint der Winter in Norwegen eine reduzierte Anziehungskraft zu besitzen. Das wurde uns schon von eigentlich allen Freunden zu Hause bestätigt: „Ist es da nicht ein bisschen kalt?“ oder „Was macht man da da oben?“ oder „Genügend Winterjacken dabei?“  Alles freundliche Umschreibungen von „Ihr spinnt!“  Na wartet: wir werden Euch mit Fotos vom Polarlicht, Filmen von Renntier-Rennen und Erzählungen von meterhohen Schneewänden die Neidröte in Gesicht drücken. 

 

Vor 35 Jahren führte uns die erste gemeinsame Reise nach Norwegen. Einen ganzen Block an Semesterferien, 10 Wochen, haben wir für das Land und vor allem für das große Zusammenraufen unserer Beziehung investiert. Erfolgreich. Und so geht jetzt, wo wieder unbegrenzte Zeit zur Ver- fügung steht,  die Jubiläumsreise fast zwangsläufig nach Norden.

 

Das große Zeitpolster ist die eine Gemeinsamkeit von damals und heute. Der fahrbare Untersatz die andere: 1980 war es ein kleiner, selbst eingerichteter  VW T2. Allgemein als Bully oder Hippie-Kutsche  bekannt, noch mit Ersatz- reifen vor der Frontwand. Zum Aufbau des Bettes musste die Küche demontiert werden. Und als mir Renate einmal wutentbrannt die Spielkarten um die Ohren warf, blieb die Suchmöglichkeit übersichtlich.  Beim Selbstausbau sind wir geblieben, aber die Ansprüche an Platz und Luxus haben mit der Zeit zugenommen. Jetzt ist es ein Fiat Ducato. Groß, grau und mittlerweile über 4 Tonnen schwer. Die Suche nach Spielkarten – und auch allem anderen – dauert unvergleich- lich länger. Eigentlich ist die Netto-Urlaubszeit kürzer geworden.

 

Der erste Ausflug führt uns zum Duty free. In Norwegen sind Alkoholika rar und teuer. Vor allem Single Malt muss gut vorgeplant und gebunkert werden. Zusammengefasst: Alles Hochprozentige ist viel billiger als in Norwegen und um einiges teurer als zu Hause. Der freundliche Servicemann am Counter akzeptiert nur den Kauf von 1 Liter Whisky pro Person. Exakt die Menge, die auch der Zoll toleriert. Mein Einwand, ich beabsichtige die zusätzlich Bottle vor dem Betreten des Landes alle zu machen und damit das Limit zu beachten, wird nicht mal mit einem müden Lächeln quittiert. Kein Humor beim Schnaps.

 

Das bekommen wir dann gleich nochmal bei der Anlandung in Kristiansand zu spüren: Ich hatte vergessen Lizzy anzumelden und das wird dann gleich vom Zoll als gute Gelegenheit  gesehen, unser Auto zu filzen. Auf die erste Frage: „Alkohol zu verzollen?“ murmle ich etwas von kalten Nächten und 3 Monaten Aufenthalt und öffne den Vorrats- schrank. Eigentlich erwarte ich Verständnis und Mitleid. Nur begrenzt! Wir einigen uns darauf, dass Whisky, Magenbitter, Ouzo, Marillenschnaps und Bianca´s Selbstgebrannter in unserem Besitz bleiben dürfen. Der Rum – gedacht für Grog und Feuerzangenbowle – bleibt bei den Zöllnern. Zusammen mit 800 Kronen Strafe. Der einzige Trost ist das zweite Depot, das den Beamten erfolgreich vorenthalten wird.

 

 

Lindesnes

Also wenn wir schon mal im Süden von Norwegen sind, dann aber gleich richtig: Eine Autostunde im Westen liegt Lindesnes, beziehungsweise es steht dort, beziehungsweise der Lindesnes Leuchtturm (Lindesnes Fry). Der südlichste Punkt des Landes und damit ein absoluter Besuchermagnet. Jeden Tag finden sich hunderte bis tausende Ausflügler ein, zahlen den Eingangsobulus, kaufen Andenken, essen im Minilokal. Nicht so im Winter. Ganz einsam im hintersten Bereich des Parkplatzes steht unser Dicker über Nacht und niemand sieht uns. Ganz alleine gehen wir morgens (8 Uhr) auf Foto Tour und keiner beachtet uns. Naja, der Leucht-turmwächter meint schon, wir sollten auf Lizzy aufpassen wegen der „small animals“ (?) im Gelände. Aber das war´s dann schon.

 

Oben auf dem kleinen Felsen reckt strahlen weiß lackiert der Turm seine rote Haube in den strahlend blauen Himmel. Ein Postkartenmotiv. Was fehlt ist der Lichtstrahl über´s Meer. Gestern in der Nacht hatte er geleuchtet. Tagsüber wäre

das verschwendete Energie. Wir kraxeln über die Felsen und schauen in all die betonierten Löcher, die vermutlich noch aus dem 2.Weltkrieg stammen. Die meisten der rundherum stehenden Holzhäuser beherbergen wohl Ausstellungen und Erklärungsmodelle. Aber das ist wohl der Nachteil des frühen Besuches: Niemand lässt uns rein.

 

Dann noch als Highlight: der Wegweiser. Logischer Weise zeigt er nur in eine Richtung, nach Norden. Und die Aufschrift 25xx Kilometer zum Nordkapp macht uns wiedermal be- wusst was wir vorhaben. Ok, dann gehen wir´s halt an.

Die kurvige, gut ausgebaute Küstenstraße ist wenig be- fahren. Immer wieder nehmen wir den Fuß vom Gaspedal. Wir wollen es ja gemütlich angehen lassen. Und die Strafen für Geschwindigkeitsüberschreitungen sollen horrend sein.  Irgendwann leitet uns das Navi über einspurige Bergstraßen durch die einsame Landschaft. Die erste Fähre. Unser Dicker wird schlagartig um 37cm kürzer, ist damit 5,99 Meter lang und knapp 100 Kronen (12€) günstiger.  Niemand scheint es wichtig zu nehmen.

 

 

Wolken über dem Lyngenfjord

der Preikestolen

Und um 4°° am Nachmittag erreichen wir den verlassenen Parkplatz von Preikestolen. Inzwischen ziehen dunkle Wolken über die Berge und die Luft wird zunehmend nass. Kein Grund faul zu sein. Der Preikestolen ist die Sehens- würdigkeit von Südnorwegen: ein Felsplateau, das 600 Meter senkrecht über dem Lysefjord thront. Aber so was von senkrecht! Nur vor dem Genuss haben die Götter der Wikinger die Mühe gestellt: Einen 2 Stunden langen Anweg. Im Sommer soll er der schönste Wanderweg des Landes sein. Im Winter ist er zumindest etwas abenteuerlich. Aber für heute haben wir ihn unterschätzt. Nur allzu bald bricht die Dämmerung herein und treibt uns zurück in die behagliche Wärme des Dicken.

 

Am nächsten Morgen, dick eingepackt, machen Lizzy und ich uns auf zu Wintererstbegehung des Preikestolen. Fuß- spuren auf den weißbedeckten Stufen und ein schmaler ausgetretener Schneepfad zeigen uns bald, dass es wenigstens unsere Wintererstbegehung ist. Aber immerhin: Pro Jahr sind ca. 150 000 Wanderer hier unterwegs. Heute, bei zugegebenermaßen verbesserungsfähigen Wetterbe- dingungen, sind wir ziemlich einsam. Der Wind weht uns Schneeflocken um die Nasen. Ein kleiner Steilhang muss zweimal erstiegen werden. Angeblich gibt es zwischendrin Badeseen. Heute sind es nur weiße Flächen. Wir sind neidisch auf Renate, die inzwischen einen heißen Tee schlürft.

 

Beim Vorbeigehen an einem dicken Schneemann – ganz sicher „Mann“, da waren die Erbauer eindeutig – streichen wir den Gedanken an die Wintererstbegehung endgültig. Kurz darauf fällt der Blick zum ersten Mal auf den Lysefjord. Er fällt im wahrsten Sinne des Wortes: Das Wasser liegt SEHR tief unter uns. Und nachdem der rutschige Pfad teilweise ziemlich knapp an der Kante vorbeiführt, erwacht meine bekannte Höhenangst. Kurz darauf stehen Hund und Herr einsam auf dem schneebedeckten Plateau. Der Wind weht – wie soll es auch anders sein – in Richtung Abbruch- kante. Und ich stehe vor der Entscheidung: Fotos machen oder Lizzy festhalten. Lizzy setzt sich hin und hält mich fest. Es entstehen nur wenige Fotos.

 

Schneewände

erste Winterfahrt

Entlang der norwegischen Küste treibt der Golfstrom nach Norden und bringt karibische Wärme bis weit über den Polarkreis. Naja, `Wärme`  ist relativ. Baden ist nur etwas für Hartgesottene. Aber als Folge davon sind die Fjorde eisfrei und das angrenzende Land nur selten schneebedeckt. Bisher deutete alles auf ein feuchtes Frühjahr im Voralpen- gebiet. Aber kaum haben die nassen Atlantikwolken des typischen Islandtiefs den schmalen Küstenstrich überquert bleiben sie an den steil aufragenden Inlandsbergen hängen und laden ihre Schneelast ab. Das wollen wir uns mal ansehen:

 

Am nächsten Tag sind wir auf der Ryfylke-Straße unterwegs ins Landesinnere. Sie gilt als eine der Highlights für Auto- fahrer. Kurvenreich und oft einspurig überqueren wir kleine Bergpässe und fahren durch verwunschene Täler mit einsamen Gehöften. Die kleinen Dörfer bestehen nur aus wenigen weit verteilten Häusern. Aus den steilen Berg- hängen plätschern unzählige Bäche. Ununterbrochen fällt Regen. Eine Fähre (100 Kronen für 5,99 Meter Länge) setzt  uns über den hintersten Ausläufer eines Fjordes. Und dann steigt die Straße an.

 

Zum ersten Mal während unserer Fahrt sehen wir Schnee: Kleine schmutzige Haufen am Straßenrand. Aber in kürzester Zeit nehmen sie beachtliche Ausmaße an. 1 Meter, 2 Meter hoch. Und je höher sie wachsen, desto schmaler scheint die Straße zu werden. Bei der engen, kurvenreichen Strecke sind entgegenkommende Autos oft nur im letzten Augenblick zu erkennen. Lediglich unser Dicker überragt die weißen Wände. Statt dem Regen prallen jetzt dicke Flocken an unsere Windschutzscheibe. Vermut- lich sind wir gerade einmal 300 Meter über dem Meeres- spiegel.

 

Und dann geht alles ganz schnell: Auf dem Asphalt bleibt eine weiße Schneedecke liegen. Die Steigung nimmt zu. Lastwagen kommen nicht mehr weiter, PKWs rollen rückwärts in Parklücken. Kurz bereuen wir es, doch keine Spikereifen gekauft zu haben, aber lange haben wir dafür keine Zeit. Zurückschalten, Vollgas geben, die Antischlupf- regelung raus, das ist unsere einzige Chance. Driftend nehmen wir eine Kurve nach der anderen. Plötzliche Wind- böen reduzieren die Sicht kurzfristig auf null. Und dann naht die Einfahrt zum Sordalstunnel! Gerade noch rechtzeitig: Er ist 5 Kilometer lang und sein nördliches Ende liegt bedeutend tiefer. So, das war jetzt der erste Vorgeschmack auf die Winterfahrt in Norwegen. G´spaßig!

 

Nach der Nacht auf dem Parkplatz am Hardangerfjord weckt uns doch glatt die Sonne auf. Naja, sie wechselt sich schon immer noch mit Regenschauern ab, aber immerhin. Gemüt- lich tuckeln wir die Küstenstraße entlang. Ein offensichtlich einheimischer Wohnmobilfahrer überholt uns mit einer Geschwindigkeit die wir uns allgemein und schon gleich gar nicht in diesem Land der kontrollierten Tempolimits erlauben würden. Er hat sicher schon einen Kilometer Vorsprung bis uns bewusst wird, dass er als Hiesiger sicher die Abfahrts- zeiten der Fähren kennt. Also geben wir auch Gummi. Zu spät. Nur mit einem beherzten 2-Meter-Sprung mit unserem 4-Tonner wäre das Schiff noch zu erreichen. Wir lassen es. 30 Kilometer weiter gibt es ja noch eine Überfahrt, und dafür haben wir genügend Puffer. Also lernen wir auch die Nordseite der Halbinsel kennen.

 

Altstadt von Bergen

Bergen

Wir nähern uns Bergen. Nicht die hohen Dinger, die oben weiß sind, sondern der Stadt Bergen.  Zweitgrößte Metro- pole Norwegens, eigene Wirtschaft, eigener Dialekt. Jahr- hundertelang hatten sich die Einwohner eher an Groß- britannien als am schwer erreichbaren Restnorwegen orientiert. Das hat sich durch den intensiven Tunnelbau geändert.

 

Der Verkehr wird dichter. Nicht hektischer – um Gottes willen: wir sind in Norwegen. Nur eben enger. Nach Oslo ist dieses Gebiet das am dichtesten besiedelte. Die Highways führen leicht versetzt am Zentrum vorbei und wenn man nicht aufpasst, dann ist man auch schon wieder draußen. Bergen ist halt doch recht übersichtlich. Die umgebenden Hügel lassen bis zur Küste wenig Platz für die Häuser. Nur ein Teil der 250 000 Einwohner lebt tatsächlich im Zentrum und das überwiegend in Gebäude, die man so auch in jeder anderen Stadt findet. Die berühmten Holzhäuser, deren Abbild man in jedem Norwegenkatalog findet, sind gerade man ein eingeschränkter, museumsähnlicher Bereich voller Andenkenläden (und einer Bäckerei, in der wir unser bestes Brot im Lande kaufen).

 

Weil schön langsam der Abend naht, suchen wir einen für uns recht untypischen Ort auf: den Wohnmobil-Stellplatz. Wir können uns für unsere Reisen kaum etwas Hässlicheres und Unromantischeres vorstellen als diese Reihensiedlungen der Konservendosenfahrzeugen. Immer schön parallel und immer schön mit 1,50 Meter Abstand. Außen rum eine Betonmauer und neben der Einfahrt die Entsorgungsstation. Man trifft sich mangels gemütlicher Sitzecke neben dem Klo und tauscht Erfahrungen über weitere Touristen-Abstell-Ecken aus. Bergen´s Stellplatz ist da anders. Es fehlt etwas Entscheidendes: Wohnmobile! Also suchen wir und suchen, kurven herum, bis wir uns sicher sind am richtigen Platz zu suchen. Letztendlich finden wir nur das Wichtigste: die funktionsfähige Entsorgungsstation, verwenden sie und verlassen das Gebiet ohne Bedauern.

 

Unser alter Trick kommt wieder zum Einsatz: Frechheit. Warum sonst haben wir unseren Dicken so unauffällig ge- baut? Damit er nicht auffällt. Damit wir mitten in der Stadt schlafen können. Und das tun wir jetzt auch. So ziemlich im geographischen Zentrum von Bergen, direkt am Kai, gibt es einen großen Parkplatz mit vielen „reservierten“ Plätzen, die jetzt alle leer sind. Da stehen wir, machen die Luken dicht und es uns gemütlich.

 

Am nächsten Morgen funktioniert es mit früh aufstehen nicht so richtig: die Regentropfen auf dem Dach haben einen meditativen Sound, der uns bis spät in die Vormittags- stunden im Tiefschlaf hält. Die Nässe ist jetzt und hier kein schlechtes Wetter. Es ist das übliche Wetter. In Bergen, sagt man, fallen an 366 Tagen pro Jahr Regen. Insgesamt 5 Mal so viel wie in München. Na prima.

 

Was solls, wir sind aber zum Anschauen hergekommen. Also wird Lizzy angeseilt und wir stiefeln regenschirm-geschützt durch die Museumsaltstadt. Malerische Häuser in der strahlenden Sonne zu fotographieren, das kann jeder. Im Regen wird der Künstler gefragt. Aber die Motive sind schon etwas Besonderes:

 

Die bunten Holzhäuser sind absolute Individualisten. Sogar die Bretter aus denen sie bestehen sind Individualisten. Es gibt sicher keine zwei gleichen. Jedes Stück Holz wurde perfekt so zugeschnitten wie es passformmäßig in die entsprechende Lücke passt. Und das bedeutet beispiels-weise, dass die Eingangstüre eines Hauses nach rechts kippt, das ganze Erdgeschoß nach links und der erste Stock wieder nach rechts. Wenn das Nachbarhaus nicht gegen-stützen würde, würde sicher alles zusammenfallen. Grandios! Die Mieten in diesen weltberühmten Gebäuden sind sicher nicht im niedrigen Bereich zu finden. Deshalb haben geldstarke Geschäftsleute und Unternehmen hier ihre Verkaufsräume, und das sieht man ihnen auch an. Windschiefe Häuser und noble Geschäfte ergänzen sich in sehenswerter Form.

 

 

 

Stabkirche Bergen

AJeden Tag startet ein anderes Schiff der Gesellschaft seine Reise in den Norden. Etwa 20 Häfen werden dabei angelandet, und erst in Kirkenes an der russischen Grenze ist der Um- kehrpunkt. Bis dahin wird die Norwegische Küste geboten, Polarlicht im Winter, Sonne und Nebel, und täglich ein Buffet. Bis auf Letzteres ist das auch unser Programm. Aber eben nicht nur 12 Tage, sondern 12 Wochen.  Die „Midnatsol“ läuft gerade ein. Acht Stunden hat sie Zeit die Passagiere zu wechseln und neuen Proviant aufzunehmen. Dann startet sie wieder. Das tun wir auch.

 

Weil jetzt werden wir doch von unserem Parkplatz verjagt: Die Polizei kommt, sagt was von reservierten Plätzen, die 3000 Kronen pro Monat kosten (370 Euro!!! Da gibt’s anderswo Wohnungen für.), und dass wir hier auf gar keinen Fall übernachten dürfen. Nie nicht. Der Gedanke würde uns nie kommen! Immerhin sind sie total freundlich.

 

Auf zur Stabkirche von Bergen, also gerade einmal 10 Kilometer weit. Und die hat sogar einen kleinen, gemütlichen Parkplatz mitten im Wald. Wir revanchieren uns indem wir die Kirche 2x besichtigen: am Abend in Nieselregen und Dunkelheit; am Morgen in Sonne und Helligkeit. Die Stab- kirche ist eine von letztendlich 29 Übriggebliebenen von ehemals circa 1000 ihrer Art. Obwohl eigentlich jetzt auch nicht mehr. Vor gut 20 Jahren hat ein Verrückter sie abge- fackelt, und was man jetzt hinter einem stabilen  Maschen- zaun besichtigen kann ist auch eine Kopie. Eine sehr schöne wie wir bestätigen können.

 

 

 

 

der Laerdalstunnel

Wir wissen nicht was es mehr in Norwegen gibt: freie Straßen oder Tunnels. Durch Berge, unter dem Meer durch, oder manchmal – vermuten wir – einfach aus Lust an der Sache. Und dann kommt der Laerdalstunnel. 24,und-ein-bisschen-was Kilometer lang. Das zieht sich. Bei erlaubten 80 Stundenkilometern ist man knapp 20 Minuten da drin. Das kann depressiv machen. Da hat sich schon so mancher verfahren. Und so haben sich die Straßenbauer was ausgedacht: an drei Stellen erscheint in der Ferne blaues Laserlicht, wird immer heller und dann steht man plötzlich auf einem grün beleuchteten kleinen Parkplatz. Das ist jetzt wirklich mal was Neues. Polarlicht unter der Erde.

 

 

Wetterdiskussionen

Irgendwie sind wir nicht sonderlich überrascht, beim Auf- wachen festzustellen, dass es regnet. Immerhin war es gestern sonnig, und da ist ein bisschen Abwechslung nötig. Die Nacht haben wir auf dem vereisten Parkplatz einer Schule verbracht. Bevor sich die Lehrer mit ihren Autos verblüfft um uns herum versammeln, sind wir unterwegs.

Am Vorabend haben wir auf der Basis des bekannten Wetterberichtes unsere Möglichkeiten durchdiskutiert. Plan 1 (der ursprüngliche): schnell mit der Fähre auf die Lofoten. Die Überfahrt wird sturmbedingt unruhig, und Sonne gibt’s vielleicht in 3 Tagen.  Plan 2 (der abwegigste): rechts ab- biegen nach Finnland. Das sind ja nur rund 1300 Kilometer extra, soll aber sehr sonnig sein.  Plan 3 (knapp vor der Realisierung): Kurs Süd, kurzer Stopp in Erding, Weiterfahrt nach Griechenland.   Plan 4 (der Kompromiss): Zwischenziel mit längerem Aufenthalt in Tromsoe. Dort soll von allem ein bisschen sein, Sonne, Polarlicht, Schnee und Regen. Also packen wir die 800 Kilometer an.

 

Wahrscheinlich ist die Umgebung traumhaft schön. Wir wissen es nur nicht. Regenschleier behindern die Sicht. In dem zugefrorenen Flusstal nebenan stauen sich riesige Eisschollen. Im rechten Straßengraben liegt verlassen ein Laster zwischen den Bäumen. Er ist vermutlich zu schnell geradeaus gefahren. Ich klettere auf´s Fahrerhaus. Niemand drin. Puh, ich hatte schon andere Befürchtungen.

 

 

der Polarkreis

Dann geht´s bergauf. Die Schneewehen an der Seite steigen wieder an. Die Straße wird enger und vor allem eisig. War die Entscheidung gegen Spike-Reifen die richtige? Jeder entgegenkommende LKW schleudert uns eine Matschdusche gegen die Windschutzscheibe. Das ist aber so ungefähr auch der einzige Verkehr unterwegs. In unsere Richtung fährt niemand. Vielleicht ist hinter uns die Straße gesperrt um den Laster aus dem Graben zu bergen. Vereinzelte Schneepflüge machen nichts anderes als ausschließlich Schnee zu pflügen: kein Streuen, kein Salzen, kein Freikratzen. Hinter ihnen bleibt einfach eine glatte Eisschicht zurück. Na immerhin schüttelt es uns dann nicht mehr so durch. Weiter bergauf.

 

Wir erreichen eine relativ flache, baumlose Hochebene. Nichts hindert den heftigen Wind daran die Schneeschauer über die Tundra zu treiben. Es gibt keine Bäume hier oben und kein Lebewesen. Nur zwei parallele Reihen an roten Stangen, die uns zeigen wollen, dass zwischen ihnen die Straße liegt. Straßen-Weiß und Landschafts-Weiß unter-scheiden sich nämlich inzwischen nicht mehr. Dann ein fast zugewehtes Hinweisschild: hier sei der „Polarkreis“. Ahja. Das passt. So haben wir uns die Polarregion im Winter auch vorgestellt.  Eigentlich wollten wir vom Besucherzentrum aus die eine oder andere Postkarte schreiben. Aber daraus wird nichts: Es ist zugeweht! Also halten wir eine ruhige Meditationspause und fahren dann weiter nordwärts. Weiter polarwärts. 3500 Kiometer liegen hinter uns

 

 

Lofoten

Im Westen soll die Sonne gesichtet worden sein. Ent- sprechende Gerüchte verbreiten sich. Im Westen liegen die Lofoten. Nichts wie hin. Es sind ja nur schlappe 400 Kilo- meter, also verglichen mit der bisherigen Tour ein Katzen-sprung. Vor allem da die Straßen trocken sind, fast lang- weilig. Alte Erinnerungen kommen auf: Die Vesteralen, die Austertraumen-Brücke, die Supermärkte in Svolvaer, alles alte Bekannte. Wieder stehen wir auf dem Parkplatz hoch oben über dem Fjord mit der unglaublichen Aussicht. Wolken- bänke werden vom Sturm über die Bucht getrieben. Duzende Fischerboote verteilen sich über die Wasseroberfläche. Offensichtlich sind die Kabeljauschwärme eingetroffen und liefern reichen Ertrag.

 

Schön langsam – im Norden geht das immer langsam – verschwindet die Sonne hinter den bizarr steilen Lofoten-bergen, und sofort wird es kalt. Der ganze Parkplatz ist von einer spiegelglatten Eisfläche überzogen. Was soll´s – wir müssen sowieso nicht mehr raus. Unser Dicker bekommt das Maximum an Isolationsverschalung und wir machen es uns drinnen gemütlich.

 

In der Nacht sind Stimmen neben dem Bus zu hören. Wir schauen durch unsere kleinen Seitenfenster und sehen – NORDLICHT! Ha, endlich. Renate springt sofort zu Ihren Fotoapparat, öffnet die Dachluke steckt den Kopf heraus und ward die nächste halbe Stunde nicht mehr gesehen. Erst als die Gefahr von Frostbeulen an den Ohrwascheln zu groß wird, gibt sie auf. Die Fotoausbeute kann sich sehen lassen.

 

 

Lofotenstraßen

Das Gerücht vom schönen Wetter bestätigt sich und eines der schönsten Erlebnisse auf unseren Reisen wird aufge- frischt: die Lofoten im Winter unter strahlender Sonne. Wenn weiße Berge direkt bis ins blaue Meer fallen. Kilometer über Kilometer eine traumhafte Küstenstraße. Manchmal führt sie knapp am Abgrund vorbei, dann wieder ins gebir- gige Hinterland. Wir überqueren Fjorde über kühn geschwun- gene Brücken und dann wieder mit einem Tunnel unter dem Wasser hindurch. Es sind nur wenige Autos unterwegs und wenn einmal ein Wohnmobil dabei ist, dann nur ein norwegisches. Keine Touristensaison.

 

Zweihundert Kilometer weiter: der letzte Ort der Inseln: Å. Einfach Å, sonst nichts. Ausgesprochen wie ein bedauerndes Oooh – dass die Fahrt jetzt hier zu Ende ist. Und man muss wissen, dass Å der letzte Buchstabe des norwegischen Alphabets ist. In den gerade mal hundert Häusern wohnen vielleicht 20 Einwohner. Der Rest ist Museum, das Museum vom Rande der Welt. Dahinter kommt nicht mehr viel. Erst noch ein ungeheurer Strudel von Ebbe und Flut geschaffen und von Edgar Allen Poe als der „Mahlstrom“ beschrieben. Definitiv nichts für kleine Segelboote. Dann noch ein paar Vogelinseln und dann … Amerika.

 

 

Reine

Na gut: dann drehen wir halt um. Vor 10 Kilometern waren wir durch Reine gekommen. Ein Ort, ein Bild, das in keinem Norwegenkatalog fehlen darf. Die kleinen rot gestrichenen Rorbuer, Fischerhäuser liegen unvergleichlich und malerisch eingezwängt zwischen steilsten Bergen und tiefblauem Meer. Um dieses Bild einzufangen, steigen die Fotografen hoch zu einem kleinen Parkplatz am Ortsrand. Wir steigen nicht da hinauf, wir übernachten hier. Reine bei Sonnen- untergang, Reine bei Nacht, Reine bei Sonnenaufgang. Jetzt wird´s uns doch zu kitschig. Naja, wenn schon kitschig, dann gleich richtig: dann fahren wir halt zum

 

Nusfjord. Im Sommer kostet sogar die Zufahrt in das enge Tal Eintritt. Irgendwie müssen die Besucherscharen ja kanalisiert werden. Schließlich ist dieses kleine Fischer- dörfchen erstens eingeklemmt zwischen steilen Bergen und zweitens Norwegens bekanntestes UNESCO Weltkulturerbe. Im Winter ist der Andrang übersichtlich. Zeitweise streichen wir alleine durch die bunten Gassen.

 

Die roten Rorbuer stehen teilweise komplett über dem Wasser und uns wird es ein ewiges Rätsel bleiben, wie die leichten Holzhäuser so an die Felsen befestigt werden, dass sie den heftigen Winterstürmen standhalten können. Und das über viele Jahrzehnte hinweg.

 

 

Svolvaer Gesamtansicht
der Startschuss
Wikinger Teilnahme
stolze Anglerin
auslaufende Flotte
der Kapitän

Weltmeisterschaft im Kabeljaufischen

Svolvær ist die Hauptstadt der Lofoten, der kleinen nor- wegischen Inselkette im Polargebiet, 3000 Einwohner. Jedes Jahr Ende März verdoppelt sich die Menschenschar. Dann fallen aus Nordeuropa Hunderte von begeisterten Petri- jüngern ein, zusammen mit ihrem Anhang und all den Leuten, die für ein weltweit einzigartiges Event so nötig sind. Jetzt ist es aus mit der Beschaulichkeit.

 

Normalerweise tut sich hier nicht viel auf dem wenigen Platz, der zwischen den bizarr steilen Bergen und dem eisigen Nordmeer für die Menschen zur Verfügung steht. Im Winter sind die Nächte lang und die Sonne steigt nur knapp über den Horizont. Es ist die ruhige Jahreszeit, die außer den heulenden Stürmen und den brandenden Wellen nur wenige Geräusche produziert. Sogar das beeindruckende, schillernde Polarlicht wabert völlig still über den Himmel. Aber in der ruhigen Tiefe des Meeres nimmt ein beachtliches Ereignis seinen Anfang:

 

Riesige Schwärme von Kabeljau haben sich im Nordatlantik gesammelt und seit Januar strömen sie zum Laichen in die norwegischen Fjorde. Jetzt im März ist der Höhepunkt dieses Fischzuges. Über Jahrhunderte hat die Lebensgrund- lage der Menschen in der Küstenregion darauf beruht, dass genügend gefangen werden konnten. Der Skrei wurde dann über große Holzgestelle zum Trockenen in die Seeluft gehängt, und wenn er dann hart und haltbar war, diente dieser Stockfisch das ganze restliche Jahr als Eiweiß- lieferant. 

 

Die Zeiten haben sich geändert. Der Kabeljau kommt weiterhin. Und um dieses Ereignis gebührend zu feiern, tragen die Svolværer seit 1991 die Weltmeisterschaft im Skreifischen – wie man hier sagt – aus. 2015 steht also das 25jährige Jubiläum an.

 

Dem Ereignis angemessen kommt die Sonne strahlend über die verschneiten Berge. Gestern hatte noch ein Schnee- sturm über die Gipfel geblasen, und nach 2Tagen, wenn alles vorbei ist wird er wieder einsetzen. Jetzt ist davon nichts zu merken. 70 Fischerboote in allen Größen haben sich in dem kleinen Hafen versammelt. 550 Angler wurden auf sie ver- teilt, jeder im winddichten Overall, jeder mit der Rute in der Hand. Um 9 Uhr am Morgen gibt das Schiff der Küsten- wache den Startschuss ab. Und dann tobt die kleine Flotte aus dem Stand los. In 10 Minuten drängen sich alle Boote Bordwand an Bordwand durch die enge Hafenausfahrt. Ein beeindruckendes Schauspiel. Es darf keine wertvolle Zeit verloren werden auf dem Weg zum zugeteilten Fanggebiet. Und das mitfahrende Wikingerschiff ist allein vom Tempo her schon keine ernstzunehmende Konkurrenz.

 

Glücklich ist, wer einen erfahrenen Kapitän ergattert hat. Der aus jahrzehntelanger Erfahrung die besten Fanggründe kennt und sie zielsicher ansteuert. Harald heißt unser Kapitän und Harald heißt auch unser Kutter, der schon 101 Jahre auf den Planken hat. Beide strahlen Stolz und – wie gesagt – Erfahrung aus. Unser Boss lässt den Sonarbild- schirm nicht aus den Augen und wenn er dann die Zeichen richtig deutet kommt seine Ansage: „Hier ist es, Fisch auf 50 Meter Tiefe!“ Darauf haben die 15 Angler gewartet. 15 Ruten werden ausgeworfen, 15 Pilker versinken im Wasser, 15 potentielle Weltmeister. Es ist losgegangen.

 

Im 5-Minuten-Takt wird Kabeljau auf Kabeljau heraufge- zogen. Keiner hat weniger als 5 Kilo. Und wenn jemand am Schiff wirklich ein großes Kaliber an der Leine hat, freuen sich alle mit ihm. Die Konkurrenz ist eher freundlich zu sehen. Manchmal scheint der Fisch übergroß zu sein und auf jeder Schiffsseite zerrt einer aus Leibeskräften mit seiner Angel – bis sie merken, dass jeder der Fang des anderen ist. Lachen, kurzes Palaver, Entwirren der Leinen und es kann weiter- gehen.  Die strahlende Sonne hilft bei der guten Laune.

 

Nur mich trifft das Schicksal hart: In der Begeisterung des nächsten Erfolges stürmt ein Angler mit Scheuklappen über die Planken, übersieht ein groß und deutlich dastehendes Stativ, bleibt mit der Großzehe daran hängen, und zerstört auf diese Art meine Filmkamera. Und zwar schon so richtig! Gut ich habe Ersatz dabei, aber es war meine Hauptkamera. Und das Malheur scheint bei ihm auch nur zweitrangige Wertigkeit zu genießen. Ich unterdrücke meine Mordlust.

 

Bei Tagesbeginn hatte jeder Teilnehmer einen großen beschrifteten Plastiksack bekommen und hierin sammelt er jetzt seine Erfolge. Es kommt schließlich auch auf die Gesamtmenge an. Je schwerer dieser Sack ist, desto mehr steigt die Hoffnung, und natürlich der Ehrgeiz an. Aber die Zeit läuft unerbittlich. Und um 15 Uhr gibt Harald das Schlusszeichen. Harald der Kapitän, nicht Harald das Schiff. Alle Säcke werden mit Kabelbindern versiegelt. Nur der eine, der Große muss nicht hinein. 18,5 Kilo. Den lässt der erfolgreiche Fischer nicht aus den Augen. Oft genug hat es mit diesem Gewicht für den Sieg gereicht.

 

Das Gedränge bei der Rückkehr in den Hafen ist nicht ganz so groß wie am Morgen. Schließlich hat jeder einen unter- schiedlich langen Weg zurück. Die Boote legen am Kai an und erschöpfte Gestalten in bunten Overalls klettern von den schwankenden Planken. Im Durchschnitt hat jeder wohl so 50 Kilo Fisch aus dem Meer gezogen. Der Weiter- transport erfolgt jetzt praktischerweise mit Lastkränen, Gabelstapler und Hubwagen. In den nächsten Stunden wird Sack nach Sack geöffnet, gewogen, summiert. Auf einer Seite der Halle filetieren schon die praktischer veranlagten Fischer ihren Fang für den Heimtransport, aber die meisten versammeln sich doch im Festzelt um die erfolgreiche Weltmeisterschaft im Kabeljaufischen 2015 gebührend zu begießen.

 

18,5 Kilo haben dieses Jahr nicht gereicht. Thor Magne Falch hat einen Kabeljau mit 32,2 Kilo aus dem Meer gezogen. Den größten Fang bei einer WM bisher.

 

 

 

Traumstraßen
500 Kilometer Glatteis

Fahrt zum Nordkapp

Unterwegs zum Nordkapp: Heute erzähle ich von der Notfallausrüstung, einer Kneippkur, fahrerischen Fähigkeiten und einem einsamen Übernachtungsplatz.

 

Wie immer geht es los mit dem Wetterbericht: STRAHLENDER SONNENSCHEIN. Morgens beim Aufwachen und am Abend beim Einschlafen. Dazwischen ist nur ein kleiner Schneesturm. Davon später.

 

Also wir wachen um kurz nach sechs auf (ist eigentlich schon Sommerzeit?), weil die Sonne sowas von frech ins Fenster strahlt. Am ganzen Himmel ist kein Stückchen Wolke. Man könnte das für einen klasse Sommertag halten, gäbe es nicht doch Hinweise auf eine andere Jahreszeit: die komplett weiße Umgebung und der Außentempertur- anzeiger: - 12°C. MINUS! Im Bus ist es kuschelig warm. Die Isolationsschicht scheint sich zu bewähren. Also beenden wir die Nachtruhe ausnahmsweise mal so früh und machen uns auf die Räder. 550 Kilometer zum Nordkapp stehen an.

 

Wir werden es merken: 550 Kilometer Blankeis. Wir sind ganz zufrieden mit unseren Winterreifen. Solange wir auf der Straße bleiben. Und solange wir fahren! Das große Problem ist das Von-der-Stelle-kommen. Losfahren wenn´s bergauf geht, geht schon gleich gar nicht. Das hatten wir schon in Tromsoe festgestellt und mussten mal rückwärts den Berg zurück rollen. Eine nicht ganz stressfreie Aktion. Inzwischen wissen wir wie´s geht: taucht in der Ferne ein Pass oder ähnliches auf, werden wir langsam und lassen dem Vordermann viel Abstand. Und kurz vor dem ersten Anstieg: Vollgas! Dann geht´s mit 80 / 100 Sachen den Berg hoch, und oben haben wir den anderen wieder eingeholt. Nur nicht stehenbleiben.

 

Aber vorerst gibt´s keine Probleme. Der Lyngenfjord strahlt im hellen Tageslicht. Gegenüber sehen wir in der Ferne die kleinen Häuser von Koppanger, in denen wir mit unseren Freunden vor 3 Jahren eine herrliche Woche verbracht haben. Nur wenige Autos sind unterwegs und das sind ausnahmslos Einheimische. Die Eisschicht auf dem Asphalt spiegelt wie – naja, halt ein Spiegel. Wir gewöhnen uns an die Glätte und bald sind wir auch mit 80km/h unterwegs. Bis …

 

Ein kurzer Abschweifer: norwegische Autofahrer sind wie vietnamesische Radler. Es zählt nur was vorne los ist. Wenn sich hinter einem langsam eine ganze Schlange an potentiell schnelleren Verkehrsteilnehmern gebildet hat, uninteressant. Inzwischen vermuten wir sogar, dass sie das gar nicht bemerken. Da haben wir noch Gewöhnungsbedarf. Also fahren wir immer wieder mal rechts ran und lassen die Hinterleute vorbei und ärgern uns, dass kein Danke-Winken kommt und fahren weiter. Von jetzt ab nicht mehr. Weil …

 

… wir noch einmal rechts einscheren. Nur die Strecke ist zu kurz und der Schnee zu glatt. Und dann hängt der rechte Vorderreifen im Straßengraben. Der Rest vom Bus liegt auf. Prima! Gute Gelegenheit für uns, die Notfallausrüstung einzusetzen. 1. Die Schaufel. Sie sollte schon sehr stabil sein. Ich versuche den Bus unten rum freizuschaufeln, und nach circa einer Stunde hätte ich es vermutlich sogar geschafft. 2. Die Schneeketten. Wenn das Vorderrad in der Luft durchdreht, vielleicht helfen ihm da die Schneeketten. Ich habe sie wiedermal sogar in der Hand.3. Der Bergegurt. Als reinrassiger Optimist hänge ich ihn schon mal an den Heckhaken. Und prompt bleibt ein 4-Radler stehen. „Can you give me a lift?“ He can. Eine Minute später sind wir frei. Geht doch. Aber der Entschluss steht fest: Der nächste Hintermann muss selbst sehen wie er vorbei kommt.

 

Die Story ist noch nicht vorbei: Es hat jetzt zum Schneien begonnen. Nur über Mittag, nur zwei Stunden lang und nur bei dem kleinen Pass. Mein Fehler, dass ich kurz stehen- bleibe um die Scheibenwischer frei zu machen. Es geht nämlich immer noch bergauf, und das habe ich doch glatt vergessen. Also stecken wir wieder fest. Es sind vielleicht 2% Steigung, aber damit um 2% zu viel. Gut, dass wir die Schneeketten noch nicht verräumt haben. Also montieren wir sie bei dichtestem Schneetreiben und packen den Rest vom Pass.

 

Die Story ist noch nicht vorbei: Die Lehre aus der letzten Misere heiß: nicht stehen bleiben wenn´s bergauf geht. Also gebe ich Gas bei der kleinen Kurve bergauf zur Brücke hoch. Zuviel Gas für die Menge an Glatteis und plötzlich stehe ich auf der linken Fahrspur. Wie es der Norweger schafft zwischen unserem Kotflügel und der Leitplanke durchzu- kommen, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Respekt, der hat gutes Augenmaß und Reaktionsfähigkeit.

 

Damit ist die Story vorbei. Wir fahren durch Alta, dieser schmucklosen Stadt im hohen Norden. Der lange Pass ist mit entsprechendem Anlauf auch kein Problem. Und die Hochebene dahinter, im Licht der langsam untergehenden Sonne - ein Traum. Wir entscheiden uns hier oben zu übernachten. Die Außentemperatur steht bei -17,5°C. Die Fotoapparate werden auf Polarlichtmodus eingestellt. Und das Polarlicht kommt

 

 

die Nordkapp - Straße

Die Nordkapp – Straße   Beim Aufwachen ist die Hochebene noch genauso weiß und endlos wie sie beim Einschlafen ausgesehen hat. Ein paar momentan unbewohnte Ferien- häuser stehen in den Hängen, die Fernstraße E6 führt querdurch. Ansonsten sind nur die Spuren von Schnee- hühnern und Füchsen Hinweise auf Leben hier oben. Und unser faules Gähnen bei Tagesanbruch.

 

Noch 200 Kilometer zum Nordkapp. 3 Stunden bei den jetzt üblichen Straßenverhältnissen. 6 Stunden wenn die Sonne scheint: Die Strecke am Fjord entlang wird zu einer unser schönsten Fahrerlebnissen. Vor 6 Jahren, vom Fahrrad aus, war sie anstrengend, regennass, winderschwert und einfach endlos. Heute ist sie ein Traum. Links strahlend weiße, schneebedeckte Hänge mit leuchtenden Eiszapfen und roten Holzhäusern. Rechts das tiefgrüne Fjordwasser und der endlose Blick zu entfernte Inseln. Und dazwischen unsere enge, eisspiegelnde Straße nach Norden. Es sind nur wenige andere Autos unterwegs. Wenn sie vorbeifahren ziehen ihnen Wolken von aufgewühlten Eiskristallen hinterher, und beim Blick zurück strahlen sie im Gegenlicht der flach- stehenden Sonne.

 

Inzwischen dauern die Tage schon länger als zu Hause im Süden. Dazu kommt noch die stundenlange Dämmerungs- zeit. Wir haben also genügend Gelegenheit zum Filmen und Fotographieren und wir nutzen sie.

 

Erst Mitte des Nachmittags erreichen wir Honningsvag, den letzten Ort vor dem Eismeer. Der Bus zum Nordkapp ist schon vor langem abgefahren. Im Gegenteil: er kommt sogar gerade in Begleitung des Schneepfluges zurück. Die letzten 30Kilometer zum berühmten Nordende von Europa sind offiziell gesperrt. Mehrere 9% Steigungen sind im Winter bei vereisten Straßen etwas riskant und so dürfen nur 2 Konvois pro Tag starten: um 11°° die Privatfahrzeuge wenn es persönliche Ausrüstung und die Straßenverhältnisse erlauben. Eine Stunde später ein Bus in Begleitung eines Schneepfluges. Wir werden es morgen entscheiden, welcher Konvoi unserer ist. Die Wetteraussichten sind hervorragend.

 

 

das Nordkapp

Oh ja. Auch das Wetter persönlich ist hervorragend. Un- typisch für uns entscheiden wir uns für den zweiten Konvoi. Die Abenteuerlust halt. Nach gut 5000 Kilometern hätten wir gerne auch diesen letzten Abschnitt auf den eigenen Reifen zurückgelegt. Aber gestern waren wir schon mal ein paar Kilometer zum Spähen gefahren und frustriert umgekehrt. 9% Steigung auf Glatteis wäre sogar noch möglich gewe- sen, aber die Dauer dieser 9%! Kilometerlang. Uns würde einfach der Schwung ausgehen, und dann wären die anderen Konvoiteilnehmer nicht begeistert, wenn wir eine beträcht- liche Strecke zurückrollen müssten. Also: zweiter Konvoi.

 

Vier Reisebusse mit Passagieren der Hurtigroute, einer – mit uns – als Lokalbus und vorneweg der Schneepflug fahren durch die baumlose Landschaft und ziehen lange Eisfahnen hinter sich her, die in der tiefstehenden Sonne strahlende Lichtbündel bilden. Die langen Steigungen sind wirklich lang und gnadenlos glatt. Ohne Spikes und/oder Vierradantrieb hatten wir keine Chance. Oft gehen unsere Gedanken 6 Jahre zurück, als wir uns mit Fahrrädern hier hochquälten. Ohne jeden Schweißtropfen weil Kälte und Regen wirksam eine Überhitzung verhinderten.

 

Heute ist es kaum kälter als damals. Aber windiger. Nach 28 Kilometern –von Honningsvag aus gerechnet – kommt das flach geduckte, ausladende Nordkapp-Zentrum in Sicht. Auf dem Parkplatz stehen die zwei PKWs der ersten Gruppen, mit Spikes und Vierradantrieb. Sonst ist nicht viel los - bis die 4 Hurtigroutenbusse ihre Touristenladung entlassen, die sich sofort hurtig (der Kalauer musste sein!) in Richtung Nord- kappmonument in Bewegung setzt. Dieser 4 Meter hohe, stählerne Globus ist eines der am meisten fotographieren Denkmäler Europas und heute kommen wiedermal ein paar hundert Bilder dazu.

 

Die Japaner sind die ersten, die ihre Fotos auf der Festplatte haben und sich ins warme Zentrum zurückziehen dürfen. Engländer und Deutsche sind geduldiger, oder sie waren beim Anfangsstart einfach zu langsam. Norweger fragen „Kaltes Wetter? Wo ist es kalt?“  Und wir. Wir gehen auch nicht ins Besucherzentrum. Das liegt aber nicht an unserem mittlerweile abgehärteten Temperaturempfinden, sondern an Lizzy. Hunde dürfen nicht rein, und wir waren blöd genug, sie nicht im warmen Bus zurückzulassen.  Also spielen wir Gassi-Gehen am eisigen Nordkapp.

 

Eigentlich ist das Ganze ein großer Irrtum: Diese letzte Klippe ist weder der nördlichste Festlandspunkt des Kontinents (wir sind auf der Insel Magerøya), noch die nördlichste Insel (da kommt weit draußen Spitzbergen), noch der nördlichste Punkt dieser Insel. Aber dafür ist es einfach der schönste nördlichste Punkt Europas. Eindeutig. 307 Meter hoch ragt dieser markante Felsbrocken über dem brandenden Eismeer auf. Ganz tief unten ziehen einzelne winzige Fischboote ihre Kreise. Und hier oben beginnt die weite, schneebedeckte Hochebene.

 

Ein paar Meter nebenan zeigt ein leicht bekleideter Junge seiner leicht bekleideten Mutter (gottseidank beide in Bronze) 7 große runde Steintafeln. 7 Kinder aus der ganzen Welt, sollten je eine Plakette mit seinen Wünschen model- lieren. Dieses wurde dann auf über 2 Meter vergrößert und steht seither hier oben. Ein schönes und gelungenes Denkmal.

 

So, der Zweistunden-Aufenthalt geht zur Neige. Der Schnee- pflug stellt sich schon mal in Abfahrthaltung und die Bus- fahrer warten auf ihre Schäfchen. Richtig genau wird da nicht kontrolliert, aber wer will hier schon freiwillig eine eisige Nacht verbringen? Verfolgt von Eiskristallwolken macht sich der Konvoi auf den Rückweg.

 

 

Druckversion | Sitemap
© 1000-sterne.de