wir befinden uns inzwischen auf der Süd-Reise:
Von jetzt ab beginnt unser Rückweg. Weil weiter geht´s nicht mehr. Barnie meint zwar, die alternative Wikinger- meinung von der Erde als Scheibe sei out, und wir könnten doch einfach rundum fahren. Aber wenn wir dann doch hinten runterfallen will´s wieder keiner gewesen sein. Also südwärts. Vorerst mal 15 Kilometer weit bis vor den Monstertunnel zum Festland rüber. Da gibt es einen großen, leeren Picknickplatz.
Und Polarlicht. Und eisigen Wind. Das ist jetzt eine schwie- rige Kombination: Zum Fotographieren gehen wir hinaus, und der Sturm verwackelt dann alles. Außerdem friert´s uns den Hintern sowas von ab… . Die paar Bilder, die trotzdem scharf werden, sind die Mühen wert. Schließlich sind wir vor allem wegen dem Polarlicht zu der Jahreszeit im Norden.
In der Nacht versucht der Wind (ab wann wird ein Wind zum Orkan? 100km/h? ok, dann also ein Orkan) unsere Iso- lationsverkleidung abzureißen. Der Dicke wackelt von einer zur anderen Seite. Die tiefen Schneeschichten auf den Ebenen werden fortgeweht und zurück bleiben nur die Eis- flächen, über die die bekannten Kristallwolken fetzen. Trotz Isolation pfeift es an allen Ecken und Enden im Bus. Es ist nicht zu glauben: nachdem wir die Heizungsöffnungen der Autoheizung schließen, wird´s besser!
Am zweiten Tag machen wir einen Ausbruchversuch. Unsere Chance beruht auf guten Winterreifen und 4 Tonnen, die uns satt auf die Straße drücken. Und der Tunnel ist nur 100 Meter entfernt. Wir sind froh, ihn zu erreichen. Auf der anderen Seite – da ist dann schließlich das Festland - ist das Wetter sicher besser?! Der Sturm wartet schon auf uns. Wer sich jetzt vorstellen kann, wie man sich fühlt, wenn rechts neben der schmalen Straße ein Felshang aufragt, links das Meer brodelt, und die Natur versucht das Auto – egal wie viel es wiegt – in eines der beiden zu schmeißen, weiß wie es uns geht. Zusatzproblem: eine Stelle zum Wenden ist erst 3 Kilometer entfernt. Und das sind spannende 6 Kilometer Fahrt. Der Tunnel rettet uns erneut. Ausbruch- versuch gescheitert. Schickt Lebensmittel! Wir verbarri- kadieren uns und schreiben Reiseberichte.
Es ist gelungen: einen Tag lang hat der Sturm Luft geholt, und wir sind weg. Es ging wieder über die Küstentraum- straße, dieses Mal mit interessanten Wolkenspielen, auf das Hochplateau und dann weit heraus Richtung Nordsee nach Hammerfest. Auf einem Felsen über der Stadt steht ein betonierter Eisbär und genießt die Aussicht auf Stadt und Bucht. Ein Schild daneben gibt den Hinweis, dass nur von dieser Stelle aus die Mitternachtssonne zu sehen ist. Also bleiben wir auch hier oben neben dem Eisbär und warten. Alles gelogen: keine Mitternachtssonne.
Dafür holt uns der Sturm wieder ein. Großes Herumge- wackel hundert Meter über dem Meer, und da soll man ruhig schlafen?
Ansonsten ist der Charme von Hammerfest zu mindestens in der Winterzeit etwas begrenzt. Das einzige was man tun könnte, wäre Mitglied im „Königlichen Eisbärenclub von Hammerfest“ zu werden. Da bekommt man für 200 Kronen eine Urkunde und eine Anstecknadel. Wir halten uns gerade noch zurück.
Kautokeino. Vom Meer aus rund 150 Kilometer ins Landes- innere liegt Kautokeino. Und diese Kombination: weit im Norden und tief im Landesinneren führt dazu, dass es zu- sammen mit Kasajok die kälteste Stadt des Landes ist. Zurzeit mit sage und schreibe 1° minus. Dafür fällt Schnee und alle Hügel, Bäume, Flüsse und Häuser sind weiß. Die „Stadt“ Kautokeino ist die größte von Norwegen: 9700 qkm. Aber sie hat nur 3000 Einwohner und rund 100 000 Renntiere. Dazu 2 Tankstellen, 2 Supermärkte, eine Kirche zu der wir gleich nochmal kommen werden und 2 Haupt- straßen. Davon besteht die eine aus Asphalt und die andere nur 6 Monate im Jahr. Im Winter ist der vereiste Fluss die Hauptverbindungsstrecke zu den Nachbargemeinden. Mit allem Drum und Dran, wie beispielsweise Wegweisern.
Mit Einbruch der Dunkelheit wird im Kino das Musikfest eröffnet. Inklusive live-Feuerwerk. Das geht hier auch, weil das Kino kein Dach hat. Und keine Leinwand. Und keine Stühle. Und keine Heizung. Es ist einfach eine Eisarena mit spiegelglatter Eisfläche als Projektionsfläche. Die Zuschauer sitzen auf Renntierfällen auf eisigen Stufen und decken sich mit Renntierfellen zu. Und wer trotzdem friert geht in die Eisbar und kauft sich zum Aufwärmen ein kaltes Bier! Trotzdem: die Stimmung ist grandios. An den Wänden hängen Kerzen und schmelzen mit ihrer Wärme abstrakte Muster in die Wände. In den künstlichen Höhlen der Bar stehen nicht nur geschnitzte Skulpturen aus Eis, sondern auch eine Minigolfanlage. Und im Lauf des Aprils wird sich alles in Wasser auflösen. Grandios!
Natürlich sind wir nicht nur wegen der Musik in diesem eher abgelegenen kleinen Ort. Hier steigt zu Ostern auch noch eine Weltmeisterschaft. Die zweite nach dem Kabeljau- fischen von den Lofoten. In diesem Fall das Rentier-Wett- rennen. Äußerst passend bei dem Namen. Irgendwo über der Siedlung in freier Natur (davon gibt’s hier viel) ist eine 1 Kilometer lange Laufstrecke abgesteckt und eingezäunt. Am Startpunkt steht ein Gestell mit mehreren parallelen Boxen, in denen jeweils abwechselnd ein Rentier und ein Skifahrer stehen. Naja, anfangs eigentlich nur die Skifahrer. Die Rentiere mögen nämlich nicht. Sie zerren an ihren Zügeln, springen herum und sagen auf ihre Art ganz eindeutig: Nein! Das nützt aber nichts. Vorne zieht einer und hinten schiebt der andere bis die Boxenklappe hinter dem Schwanz geschlossen wird.
Die Skifahrer übernehmen dann die Zügel und vorne gehen die Klappen auf. Was dann folgt ist ein kilometerlanger frustraner Fluchtversuch der armen Fiecher. Die verschreckten Tiere versuchen so schnell wie möglich von den verfolgenden, laut schreienden Skimenschen wegzukommen, und der am schnellsten fliehen kann gewinnt. Sieger wird Big Boy vor Maharadscha und Tsunami. Die haben Humor, die Samen.
Jedenfalls beginnt jetzt das Joiken. Am ersten Abend mit den alteingesessenen Stars dieser Musikszene. Aber was ist Joiken? Vor 2 Jahren hatte es uns ein Süd-Norweger als nordnorwegische Foltermethode definiert. Einige Jahre frü- her hatten wir in Rovaniemi eine unglaublich coole, moderne und begeisternde Session erlebt. Und jetzt sind wir ge- spannt. Der Joik wird von den lappländischen Ureinwohnern, den Samen gesungen und handelt von Natur, Mitmenschen und Gefühlen. Dass man all das nur mit den Silben „jo“ und „lo“ ausdrücken kann, wird uns immer ein Rätsel bleiben. Jedenfalls sind das so ziemlich die einzigen Worte, die die Teilnehmer des Joik-Grand-Prix verwenden. Einer lässt immerhin noch gelegentlich seine Berufsbezeichnung ein- fließen: „Schuhmaker“ und gewinnt prompt den Wettkampf. Die haben Humor die Samen. Trotzdem: der Verlauf des Grand-Prix läßt uns eher zu der Meinung des Südnorwegers tendieren.
Beim Jugendkonzert tritt später ein Joik-Rapper auf, und der ist wirklich gut. (Trotzdem flippt die lokale Schar der 15- jährigen erst beim Erscheinen eines Justin Bieber Verschnitts aus. Aber so richtig mit Kreischen und Ohnmächtig-Werden.)
Zurück zu den erwähnten Alteingesessenen. Die haben den Sound inzwischen modernisiert und zu einer Art Lounge- Jazz weiterentwickelt. Absolut mitreißend. Besonders der Typ mit dem Kontrabass ist sowas von gut.
Also die Bandbreite des Joiken ist sehr breit: zwischen Folter und Begeisterung ist alles drin. Wir bleiben 4 Tage in Kauto- keino und nehmen diese Bandbreite voll mit.
Das ist sicher auch so eine Meisterschaft! Auf dem vereisten See wird eine 100 x 100 Meter große Fläche angesteckt und mit unzähligen Löchern versehen. Die „Kämpfer“ kommen überwiegend mit Schneemobilen, stellen sich außen um den Zaun und stürmen mit dem Startschuss die Arena. Dann stehen unzählige Stühlchen um die Löcher, oder man liegt auf Renntierfellen oder mit friert mit den Füßen an. Jeder hält eine niedliche 30cm lange Angel über die genauso kleine Wasserfläche. Dann heißt es warten. Manche gehen sofort zu Plan B über (wörtliches Zitat) und legen Würstchen auf den Grill. Wir schauen mal zu den Preisen:
Für den größten Fisch gibt´s umgerechnet 800 Euro, für den kleinsten – die Samen scheinen Humor zu haben – 700€. Dazu ein Auto und einen Schneescooter für die Lotterie.
Ich filme einen besonders lässigen Kämpfer, dem auf dem Liegestuhl langsam die Augen zufallen. Plötzlich ein Schrei und ein original Samentanz: Es hat angebissen! Bei ge- nauerem Hinsehen ist es sogar ein Fisch. Der Kommentator beschallt den Wettkampfbereich mit Lautsprechern und vergleicht die Größe des Fisches mit der Größe der Männ- lichkeit des Fängers. Allgemeines Gelächter. Aber immerhin: er hat einen. Einen Fisch natürlich!
Ein bisschen zur Statistik dieses Jagdtages: circa 600 Fischer, gefangene Fische: 23, größter Fisch 729 Gramm, kleinster Fisch: 6 Gramm. 6 GRAMM!!! Gibt es überhaupt so mini passende Angelhaken? Und der Gewinner bekommt pro Gramm Fisch 115€. Das wäre ja ein Kilopreis von 115 000€. Inklusive Gräten! Die haben wirklich Humor, die Samen.
Das Osterfest von Kautokeino ist zu Ende. Alle Joiks sind gesungen, Big Boy ist Weltmeister, und das Wetter bleibt unverändert trüb. Das Thermometer bleibt jetzt um die 0°C. Wie Frau Juhl uns sagte: „Nach 8 Monaten Winter kann man den kurzen Frühling und Sommer kaum erwarten. Jetzt zeigen sich die ersten Vorzeichen: Über schnell fließenden Bächen reißt die Eisdecke auf, Dunkel- und Helligkeit teilen sich den Tag gleichmäßig auf, und die Samen beginnen mit ihren Rentierherden in die Tundra zu verschwinden. Zeit für uns weiterzuziehen. Der Süden lockt.
Die Straßen sind eisfrei, und wir können sie um einiges ruhiger benutzen als bei unserer Nordfahrt. In Alta bleiben wir nur zum Einkaufen stehen, bei den Lyngenalpen zum fotographieren. 1200 Kilometer bis Trondheim liegen vor uns, und das soll dieses Mal ein bisschen schneller gehen. Naja, das Hochplateau beim Polarkreis hat sich nicht groß verändert. Weiterhin treibt ein eisiger Wind die Schnee-wechten um das Besucherzentrum. Vorerst kommt man dort weder hin noch rein.
Dann werden die Flocken dicker, der Wind stärker, die Straßen glatter, der Verkehr geringer und die Nerven gespannter. Es ist nur ein kleiner Pass, gerade einmal 40 Kilometer lang, aber wir schaffen ihn wiedermal nur mit angelegten Ohren und viel Anlauf. Inzwischen sind wir ja schon etwas erfahren mit solchen Bedingungen. Trotzdem: es reicht!
Otta liegt jetzt schon ziemlich weit im Süden. Gestern sind wir das erste Mal mit Klappstühlen in der Sonne gesessen! Nochmal: Gestern sind wir das erste Mal mit Klappstühlen in der Sonne gesessen!! Geht doch. Neben uns floss ein Bach ohne Eisschollen. Es war 15° heiß, und wir wussten nicht wo die Sonnencreme verstaut ist. Dann kam ein Bauer und goss eine ganze Ladung voll Gülle aufs Feld nebenan. Wir haben dann eingepackt und fuhren weiter.
Otta liegt aber auch direkt neben dem Rondane-Gebirge. Und da fahren wir jetzt hoch. Die kleine Straße ist so eng, dass entgegenkommende Fahrzeuge Probleme machen. Es sind nur wenige. 500 Meter höher liegt dann ein weitgehend verlassener Parkplatz und Schnee. Wir werfen die Heizung wieder an und igeln uns ein. In der Nacht schneit es …
… um am nächsten Morgen sind ideale Bedingungen zum Skilanglaufen. Wir können die Bretter ja nicht umsonst den ganzen Urlaub mitnehmen. Also setzen wir unsere Sonnen-brillen auf, packen uns warm ein, informieren Lizzy, dass es länger wird und starten los. Es ist traumhaft! Langlaufen in Norwegen. Eine wackelige Spur führt mit kleinen Steigungen und milden Abfahrten durch einen lichten Birkenwald. Eine Gruppe Kids zieht an uns vorbei. Nebenan glitzern gefrorene Seen in der Sonne. Und über allen heben sich die weißen Buckel der Rondane Berge. Bei so viel Genuss wird man übermütig: Nach 7 Kilometer stehen wir am Seeufer und könnten umkehren. Zwei Norwegerinnen versichern, dass die Eisschicht locker hält. Das tut sie auch. Aber nach den 3 Kilometern zur anderen Seite haben wir erst knapp die Hälfte geschafft. Und das mit unserer momentanen aus- geprägten Unsportlichkeit. Lizzy wird auch langsamer und schaut uns unverständig an. Naja, wir kommen letztendlich doch wieder beim Dicken an. Morgen gibt´s Muskelkater.
Wenn wir schon mal beim Sport sind, kommt Lillehammer gerade recht. Mit Lillehammer da war doch was, oder? Eine kultige Krimiserie? Stimmt, meine ich aber nicht. Ahja, Olympia. Also für eine Olympiade ist die Stadt eigentlich zu klein. Vermutlich haben sich die 24 000 Ein- wohner 1988 einen Spaß gemacht und eine Bewerbung für die Winter-spiele eingereicht. Nachdem damals Katar und Russland mit ihrer Finanzkraft etwas anderes anfangen konnten, blieben nur ernsthafte Konkurrenten übrig, und zur absoluten Verblüffung der Lillehammerer bekamen sie die Olympiade von 1994 zugeteilt. Boah! Jetzt heißt´s herrichten.
Beispielsweise braucht´s dann eine Sprungschanze. Und die haben die Lillehammer schließlich auch gebaut. Genauer gesagt: umgebaut. Schließlich sprangen hier schon seit vielen Jahrzehnten wagemutige Norweger den Berg herunter.Für Olympia musste aber was Größeres her. So mit 130-Meter-Sprüngen und einem breiten Stadion. Und diese „neue“ Sportanlage liegt jetzt in den Berghang über der Stadt eingepasst.
Momentan fliegt, mangels Schnee, niemand durch die Gegend. Neben der Schanze und dem Steilhang führen 936 Stufen nach oben. Nicht gezählt, aber beschriftet. Es ist wirklich erlebenswert neben dem Steilhang zu stehen, unter dem 5 Meter hohen Schanzentisch, entlang der ewig steilen Anlaufspur – nie im Leben würden wir da runterfahren.
Von ganz oben, leicht verschwitzt, genießen wir den tollen Ausblick auf die gesamte Stadt. Wie gesagt, sie ist sehr übersichtlich bei 24 000 Einwohner. Abzüglich einem: im Kultkrimi stirbt schließlich der Polizist.
Weit ist es von hier aus nicht mehr. Relativ gesehen. Und zwischen Lillehammer und Oslo verläuft auch die beste Autobahn des Landes. Vermutlich ist es die einzige Also: wir kommen nach Oslo. Und bei den unzähligen Sehenswürdig- keiten der Stadtgrenzen wir uns auf 4 ein: die Sprung- schanze von Holmenkollen, die Wikingerschiffe, KonTiki (das Floß von Thor Heyerdahl) und die Statuen vom Frognerpark.
Von Lillehammer her haben wir ja den Vergleich. Aber in Oslo gibt´s eine Aufzug den Sprungturm hinauf. Sehr lobenswert. Nachdem wir uns sehr früh auf den Weg gemacht haben, stehen wir ganz alleine auf dem höchsten Punkt der Stadt. Aber die Schlussfolgerung ist die gleiche: nie und nimmer kann man da herunterspringen. Bei meinen Fähigkeiten wür- de ich mich vermutlich sogar verfliegen. Um den Adrenalin- kick bis zum Schluss auszukosten setzen wir uns sogar in den Flugsimulator. Das Skispringen geht ja noch, aber das Abfahrtsrennen ist unglaublich – übrigens werden wir Erster.
Auch das Wikingerschiff-Museum ist zu dieser Zeit fast völlig leer. Trotzdem verhindern die Wachleute, dass wir die Boote entern und uns wie Erik der Rote an die Ruderpinne stellen. Ok, dann halt doch nur Fotos.
Das erste Buch, dass ich in meiner Kindheit gelesen habe, handelte über die abenteuerliche Pazifiküberquerung, die der norwegische Forscher Thor Heyerdahl mit 5 Freunden auf seinem Floß KonTiki unternahm. Und es ist fast unglaublich, dass dieses Floß jetzt im Original in Oslo zu sehen ist. Zusammen mit vielen Geschichten und weiteren Booten.
Unsere letzte Nacht in der Hauptstadt verbringen auf dem Parkplatz neben dem Frognerpark. Der Bildhauer Gustav Vigeland hat hier eine Gruppe von wuchtigen Granit-skulpturen aufgestellt, die ihresgleichen sucht: Menschen in allen Lebenslagen von der Geburt bis zum Tod.
So, scheinbar hat sich die Sonne jetzt in Norwegen fest- gesetzt. Zeit, mal wieder an der Westküste vorbei zu schauen. Das sind ja bloß gute 500 Kilometer. Ein Tag Fahrerei. Also nehmen wir die Strecke durch tiefe Wälder, kleine Dörfer, frühlingshafte Wiesen und entlang an aufge-tauten Seen unter die Räder. Der Laster, der unsere Über- holabsichten norwegentypisch und für 60 Kilometer konsequent ignoriert, regt uns gar nicht mehr auf. Naja, jedenfalls fast nicht mehr. Zu mindestens kann ich mich irgendwann wieder beruhigen. Und als ich endlich an ihm vorbei komme, wartet – auch wieder norwegentypisch – DAS Fotomotiv auf uns, und der Große ist erneut vor uns.
Der Tag geht zu Ende. Ein einsamer Picknickplatz am Fjord kommt gerade recht Niemand stört sich an dem unschein- baren, grauen Wohnmobil, das bald mit der einsetzenden Dunkelheit verschmilzt. Die kleinen Wellen am Ufer wirken wie Schlaftabletten. In der Nacht flackert das letzte Mal ein blasses, grünes Nordlicht über den Himmel. Nichts was sich zum Fotographieren rentiert.
Am Morgen – eigentlich ist es schon der Vormittag – queren wir ein weiteres Mal den riesigen Straßentunnel mit dem eingebauten Nordlicht und biegen gleich danach scharf rechts ab. Statt dem Tunnel könnte man nämlich auch die hoch gelegene Passstraße verwenden. Aber nur im Sommer, also den kurzen 3 Monaten, in denen der Schnee so niedrig liegt, dass sich ein Wegräumen lohnt. Jetzt im April soll angeblich eine 6-Meter dicke Schicht die Überquerung verhindern. Nur die ersten 8 Kilometer hoch zu dem Aussichtspunkt über dem Aurlandfjord sind frei. Und die sollen sehenswert sein.
Also zu Erklärung: ein steiler, ein sehr steiler, unglaublich steiler Berg, eine einspurige Straße mit wenigen Ausweich-stellen für den Gegenverkehr, keinerlei Schnickschnack wie Leitplanken, aber dafür Serpentinen vom Feinsten. Das ist die Straße. Vor allem die Serpentinen machen mich fertig. Ich halte mich krampfhaft am Lenkrad fest und vermeide jeglichen Blick talwärts. Aber wenn´s wieder runtergeht wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben. Wenn jetzt die Frage auftaucht, ob sich die 8 Kilometer Höhenangst gepeinigte Fahrerei rentiert – ja, das tut sie!
Weil der Aurlandfjord von hier oben aus betrachtet der Hammer ist. Die Berge wachsen senkrecht über hunderte Meter aus dem Fjord (und angeblich auch unten im Fjord). Und das Wasser ist so ungebrochen spiegelglatt, dass die Landschaft ganz einfach dupliziert wirkt. Erst die Wellen durch eine ankommende Fähre zerstören die Illusion. Wir stehen auf einer hölzernen Aussichtsrampe mit gläserner Endbegrenzung und versuchen das Gefühl des Herunter-fallens zu unterdrücken. Wiedermal genießen wir die Besonderheit einer norwegischen Aprilreise: Schnee auf den Bergspitzen und einsame Ausblicke ohne Touristen. Außer uns natürlich.
Aber natürlich trauen wir der Info über die gesperrte Hochstraße nicht so ganz. Also versuchen wir noch weiter nach oben zu kommen. Bis uns die Realität einholt: Die Reifen drehen haltlos auf dem glatten Straßenbelag durch und die Höhe der Schneewehen beginnt den Bus zu übersteigen. Wir müssen zurück. Über die Serpentinen!
Die Entscheidung fällt uns zuerst nicht leicht: der Küste entlang südwärts um nochmal zum Preikestolen im Frühjahr aufzusteigen, oder ostwärts zum Setestal für einen gemüt-lichen Ausklang. Wie immer hilft uns der Blick auf die Wetter-vorhersage weiter. An der Küste: Regen. Im Landesinneren: Sonne. Na also. Wir müssen nur über einen kleinen (100 Kilometer), flachen (1000 Höhenmeter) Pass kommen. Also nicht der Rede wert.
Es soll unsere letzte Winterfahrt werden, und ausnahms- weise ein echter Genuss. Vom Himmel strahlt die Sonne auf den schneefreien Asphalt. Weiße Wände begleiten uns seit- wärts bis zu 3 Meter hoch. Wie immer wächst in der Höhe kein Baum, und so reicht der Blick ohne Hindernis weit über vereiste Seen und strahlende Ebenen. Einzelne Skigeher überqueren die gefrorenen Eisflächen. Spuren von Schnee-hühnern und Eisfüchsen – vermutlich in dieser Reihenfolge – laufen durch die Büsche. Auf uralten Holzhäusern stapelt sich der Schnee meterhoch. Aber überall drängt das Wasser an die Oberfläche, bricht durch das Eis und fällt in Kaskaden talwärts. Nicht sehr überraschend ist der Frühling hier 2000 Kilometer unter dem Nordkapp mitten im Gange. Wir machen ein letztes Schneefoto und folgen dem Wasser.
Zwischen der Setesdalstraße und dem Fluss liegt ein kleiner Wohnmobilplatz. Jede Standfläche hat ihren eigenen Wald- bereich und Uferzugang. Aber niemand ist da! Kein Tourist, kein Besitzer, kein Wasser, kein Strom. Super! Genau das richtige für uns. Wir nisten uns ein und beschließen uns 2 Tage nicht mehr zu rühren. Unsere Reiseaktivitäten redu- zieren sich auf „Zum-Wasser-Schauen“ und „Buch-langsam-Umblättern“. So kann es bleiben.
Aber irgendwann gehen die Vorräte zur Neige. Die Tour führt weiter südwärts durch ein Tal, das mit seinen gemütlichen Seen, weiten Feldern und schmucken Städtchen so ganz anders wirkt als das gewaltige Norwegen der letzten Wochen. Und das ist auch gar nicht schlecht so. Irgendwann müssen wir die ganzen Eindrücke auch verarbeiten. Das Setestal ist die richtige Gegend dafür.
Und letztendlich schließt sich der Kreis: Eine 30 Kilometer lange Stichstraße bringt uns hinaus zum Meeresufer, zum südlichsten Punkt des Landes, zu einem Leuchtturm den wir vor 8 Wochen neugierig und erwartungsfroh verlassen haben. Lindesnes. Den Kopf voll von Bildern und Eindrücken schauen wir stundenlang in den typischen norwegischen Sonnenuntergang.