Symbolisch für die Einsamkeit der Nordhighlands steht das Dunrobin Castle, das größte Schloss unserer Reise. Und das ist keineswegs paradox. Dafür müssen wir etwas zurück in die Geschichte Schottlands. Bis in das 18.Jahrhundert hinein war Schottland aufgeteilt in die verschiedenen Clans, die ihren Chief früher sogar gewählt hatten und ihn zu mindestens als ihren – naja – Vater betrachteten. Als die letzte Schlacht gegen die Engländer 1746 verloren war, ließen sich die neuer Herren etwas Besonderes einfallen: Sie setzten die Clanchefs überraschenderweise nicht ab, sondern ernannten sie zu den Großgrundbesitzern ihres Clangebietes. Und wie oft bei Neureichen, konnten die nicht genug bekommen.
Eine besondere Figur hierbei stellte Georg Granville Leveson-Gower, 1. Duke of Sutherland dar, Eigentümer letztendlich des größten privaten Grundbesitzes Europas. Die von ihm abhängigen Kleinbauern hatten es ohnehin nicht leicht auf den moorigen Böden. Aber jetzt kam der Herzog auf die Idee, dass Schafzucht deutlich profitabler für ihn wäre. Also vertrieb er die Bauern von ihren Grund und bot ihnen nur mickrige Hütten in Hafenorten an. Das hatte drei Auswirkungen: Schotten wanderten nach überall auf der Welt aus, beispielsweise nach Neuschottland; Das Hinterland ist bis heute menschenleer. Und der Duke of Sutherland wurde der reichste Brite Großbritanniens. Das erklärt natürlich die Größe von Dunrobin Castle.
Das ist jetzt schon eine Überraschung: An jeder Ecke in Schottland gibt es ein Castle. Zuletzt in May, wo die Queen Mom fast 50 Jahre lang ihren Urlaub verbrachte, Whisky süffelte und ihre Lieblings-TV-Show anguckte – "Dad´s army".
Aber in Castlehill gibt´s kein Castle! Dafür einen sehenswerten Hafen. Gut, die letzten Handelsschiffe sind wohl auch vor circa einem Jahrhundert hier ein- und ausgefahren. Nur noch ein paar private Fischerboote dümpeln im Wasser. Zurück blieben Kaianlagen, die so nicht oft zu finden sind. So sind vollständig aus verwitterungsresistenten Steinplatten – Flagstones genannt – gebaut worden. Und was wurde damals hier verladen und in alle Welt exportiert? Flagstones! In London hat man damit den Hafen gepflastert, In Edinburgh die königliche Meile und in Chile / Valparaíso die herrschaftlichen Häuser.
Lieblich plätschert ein kleiner Bach vor sich hin. Aber vor 500 Jahren tat sich hier Schreckliches. Donald Mc Murachie brachte mindestens 19 seiner Zeitgenossen gewaltsam um die Ecke, und jetzt mussten die Leichen verschwinden. Wie gut, dass dieses Wässerchen hier gar plötzlich in die Tiefe verschwindet, und in der Tiefe wohnt – wie jeder gebildete Mann weiß – der Teufel. Also konnte man diesem ja die 19 Seelen zum Geschenk machen.
Warum wusste Mc Murachie so genau vom hiesigen Teufel? Ganz einfach: Gleich nebenan in das riesige Höhlenloch hatte er seinen Hund hineingeschickt, und dieser kam jaulend und zähneknirschend wieder heraus. Sicherheitshalber nehmen wir Lizzie beim Abstieg an die Leine.
In dem riesigen Eingangsgewölbe aus dem zurzeit nur ein kleines Rinnsal fließt, haben sich Fledermäuse und Tauben wohnlich eingerichtet. Und Colin mit seiner Begleiterin verkauft Bootsfahrkarten. Richtig: Bootsfahr-karten. Das macht neugierig. Es riecht nicht nach Schwefel und Colin sieht sehr freundlich aus. Wir beschließen, es zu wagen. Aus der Tiefe dringt Wasserrauschen.
Ja, und hier ist das untere Ende des schon bekannten Wasserfalles. Die 19 Skelette werden wohl im tiefen Wasser verborgen sein. Bevor wir Colin davon abhalten können, murmelt er etwas von Piranhas und wirft Brotkrumen über Bord. Erleichtert stellen wir fest, dass keine Knochenhände danach greifen, sondern hungrige Bachforellen. Wir können unserem Führer weiter vertrauen, der, wie wir später erfahren, 6 Sprachen spricht, unter anderem Deutsch.
Letztendlich stehen wir vor dem Höhlenschluss. Unter der Wasseroberfläche soll es weitergehen. Colin erzählt, dass hier im moorigen Boden Haselnüsse gefunden wurden und weiter vorne Schweineknochen. Das klänge nach einem guten Menü: Schweinebraten mit Haselnüssen. Und da sage noch jemand, die Schotten wären keine Feinschmecker.
Endlich ist das Wetter wieder für eine Bergtour geeignet. Ben Hope, wir kommen.
Jetzt beim Näherkommen steht er klar in den Highlands. Ein Hindernis gilt es noch zu überwinden. Galloways! Nicht, dass sie die Straße blockieren oder so. Aber als Filmer kommt man da einfach nicht vorbei. Anfangs schaut der Bulle noch, was ich da will, aber dann entschließt er sich, dass ich harmlos bin.
Es kann weitergehen. Es soll eine Tour der Superlative werden: Unser dritter Munro, einer der niedrigsten. Na gut, zu mindestens der nördlichste von allen. Der Beginn ist nicht zu verfehlen.
Ich habe jetzt ein Rätsel: Warum ändert sich in den letzten Jahren die Flora auf den Schottischen Munroes? Das hat nichts mit der Klimaänderung zu tun. Nur mit den schottischen Bergsteigern selbst. Vor deren Dahinscheiden ist oft genug ihr letzter Satz: „Verstreut meine Asche auf dem Gipfel des Ben Hope.“ Oder irgendeines anderen Berges. Das ist unnatürliche Düngung. Und so bittet der hiesige Alpenverein: „Bitte keine Schotten streuen.“
Ah ja, und mit der einsamste ist unser heutige Berg auch. Vom Gipfel aus geht der Blick weit über das menschenleere Highland.
Unser Stellplatz an dem kleinen Moorbach ist fest in der Hand der hiesigen Mücken. Wir verschanzen uns im Bus und werden belagert. Na gut, solange der Whiskyvorrat reicht, halten wir durch. Morgen machen wir einen Ausbruchsversuch.
Diese Highland-Moore im Norden sind das Paradies für Mücken. Eine gute Nachricht: nach der Morgendämmerung sind sie weg. Und dann kann man sich ungestört in die Wollgraswiesen legen, fotografieren und frühstücken.
Die ganzen Täler sind von Tümpeln und kleinen braunen Bächen durchzogen. Das einzige was es in diesen unendlichen nassen Ebenen für den Menschen zu holen gibt ist Torf. Immer wieder stößt man auf die Schnittkanten und aufgestapelte Moorbrocken. Bei dem häufigen Regen dauert es lange bis er genügend getrocknet ist um als Brennstoff zu dienen. Hauptsächlich dient er wohl zum Whiskybrennen. „Lagavullin!“
Es ist eine wirklich einsame Gegend. Ideal um mit dem Wohnmobil herum-zu-cruisen. Gelegentlich trifft man auf verlassene Telefonzellen, die dem Wind ausgesetzt sind.
Eigentlich kann man fast überall frei übernachten. Aber dann haben wir wiedermal Lust auf ein gepflegtes Dinner und der Bus muss mit Wasser und Strom gefüllt werden. Und in so einem Fall ist sogar ein Campingplatz erwünscht. Insgesamt haben wir auf unserer Reise 7 Tage auf so einem Platz geschlafen. Und keiner davon war unansehnlich. Ok, man steht knapp aneinander. Aber die Nachbarn sind in der Regel nett und schon mit der schottischen Lebensart infiziert: Leben lassen.
Irgendwann kommt – wie immer – eine Regenfront über das Tal. Und dann verziehen wir uns sowieso zum Lesen in den Bus.
Über Fort William ragt der Gipfel des Ben Nevis. Naja, er ragt zwar, aber man sieht ihn nicht. An 250 Tagen im Jahr steckt er sein Haupt in Wolken und macht es allen schwer die auf ihn hinauf wollen. Viele wollen auf ihn hinauf. Er ist der höchste Munro von Schottland und der höchste Berg von ganz Großbritannien. 1334 Meter; JAWOLL! Und wir haben nicht einmal unsere Eisausrüstung dabei. Aber solange er nicht Sonne auf sein Haupt lässt, sind wir faul und wollen auch nicht.
Am nächsten Morgen sagt der Wetterbericht passablen Sonnen-schein an. Auf geht´s. Wir verlassen unseren inoffiziellen Schlafplatz und machen uns auf den Weg. Bei gut 1000 Höhenmetern, angesagtem guten Wetter und der Bergsteigerautobahn die hier hochführt, bleibt der Rucksack übersichtlich. Wir werden schon wegen der Hitze genug schwitzen.
Ab der Hälfte des Anstieges ändert sich die Umgebung. Das Gras bleibt zurück. Der Weg führt serpentinenartig durch eine ewige Steinwüste. Ein einsames Schneefeld überdauert wohl den ganzen Sommer und ist super zur Abkühlung. Aber weit ist es sowieso nicht mehr. Ein paar große Steinmännchen helfen bei Nebel zur Orientierung. Das ist heute nicht unser Problem. Das Plateau ist jetzt nicht der schönste Gipfel den wir je erstiegen haben, aber oben ist oben!
Wenn es einen Wettbewerb über gruselig-schöne Täler gäbe – das Glen Coe läge mit Sicherheit ganz weit vorne. Wir erinnern uns an die erste Bergtour – das läuft unter „schön“. Die Stimmung heute mit dem kalten Wind und den dahinziehenden Wolken, das ist eindeutig gruselig. Da wird die Geschichte von 1692 wieder wach, die hier noch heute als das Massaker bezeichnet wird. Auf Bitte der Engländer hin besuchte eine Abordnung der Campells – wir erinnern uns: die mit dem scheidungswilligen Schwager – die hier ansässigen MacDonalds. Nachdem man sich zwei Wochen lang gastfreundlich hat bedienen lassen, standen die Campells eines Nachts heimlich auf, legten auf einem Hügel ein Signalfeuer und massakrierten gleichzeitig so ziemlich alle ihre Gastgeber. Gut, in den Highlands legte man schon mal eine Kirche in Brand wenn der gegnerische Clan gerade beim Gottesdienst war. Logisch, dass keiner überlebt. Aber den Gastgeber über die Klinge springen zu lassen – es gibt Grenzen des guten Geschmacks. Das nimmt man den Campells bis heute noch übel. Bis vor kurzem hatte der Clachaig-Inn Glencoe den Hinweis auf der Eingangstüre: "Zutritt für Hausierer und Campbells verboten!"
Als die Nacht hereinbricht, machen wir uns ganz unsichtbar, sind mucksmäuschenstill, schauen mit Gänsehaut in die wolkenverhangenen Berge, um die sicher noch die Geister der MacDonalds schweben. Und brutzeln noch schnell eine Feuerzangenbowle.
Keine Gespenster mehr, keine ungebetenen Gäste, alles ist gutgegangen. Über kleine single-Treck-Straßen entlang an verwunschenen Moorbächen fahren wir weiter nach Argyll. Upps, Argyll ist Campells-Gebiet und von denen haben wir gerade nicht so Gutes gehört. Mal sehen, wie sie mit uns umgehen. Und da ist ja auch schon ihr Schloss, Inverary Castle. Sieht eigentlich ganz friedlich aus, mit seinen schnuckeligen Türmen, Zinnen und der Clanflagge. Im Eingang hängen sogar Blumentöpfe. Aber dann gleich der erste Saal – Waffen über Waffen. Speere, Schwerter, Musketen. Die Ahnengalerie! Der erste Duke, der mit dem MacDonald-Massaker sieht schon etwas – naja – aus. Der 8. und der 9. wurden wegen Hochverrats einen Kopf gekürzt. Auch der 3. Duke war so eine Marke: Als neu ernannter Justizminister ließ er gleich mal 16 Mitglieder des verfeindeten McGregor Clans hinrichten. Ganz ohne Interessenskonflikt. Aber sonst – wirklich – eine schöne Burg.
Jedenfalls findet jährlich im Juli in seinem Park ein Highlandfestival statt. Ehrlich gesagt, sind wir deshalb hier her gekommen. Das Highlandfestival mit der Weltmeisterschaft im Baumstamm-Herumschmeißen, Tschuldigung: „Tossing the Caber“.
Dürfen wir vorstellen: Heider Geirmundsson aus Island, genauer gesagt Snaefellsjökull, die Gegend wo man verfaulten Haifisch isst. Harter Typ. Muskeln wohin man schaut. Ganze Mengen davon. Und auch eine ganze Menge Selbstbewusstsein. Alles was werfbar ist, liegt schon bereit.
Die Schiedsrichter haben jetzt Platz genommen, die Zuschauer sind auch da. Die Spiele sind eröffnet.
Nach mitteleuropäischem Verständnis müsste jeder, der sich in 20 Meter Umgebung aufhält einen Helm tragen. Ob´s was nützen würde ist fraglich. Aber es interessiert eh keinen. Direkt neben den Schwerathleten wird herum-gesprungen und …
gerauft!
Das Ganze läuft unter Wrestling. Wer dreimal den anderen auf´s Kreuz gelegt hat ist der Sieger. Keiner, beziehungsweise keine ist zu klein für diesen Sport. Verloren hat wer mit Knie oder Rücken den Boden berührt. Es geht zur Sache. Um den Nachwuchs braucht man sich keine Sorgen zu machen. Naja, wenn Rauferei hier als ernste Sportart gilt. Auf deutschen Schulhöfen undenkbar: auch Mädchen dürfen mitmachen. Sogar wenn sie gewinnen.
So, der Schiedsrichter ruft zu den nächsten Highlights. Herumwerfen! 60 Kilobaumstämme sind ganz schön schwer. Es entwickelt sich ein Dreikampf zwischen Neil Elliot aus Glasgow, Bruce Robb, den wir schon von Aberdeen her kennen und Scott Ryder aus England. Nach der Qualifikation wir sogar der noch 10 Kilogramm schwerere Wettkampfbrocken hergenommen. Etwas zu viel für Neil Elliott, dritter Platz. Bruce Robb, gültig. Scott Ryder, gültig. Bruce Robb, hmmmm – nicht ganz. Jetzt kommt´s drauf an: Geschafft. Drei Versuche, drei Erfolge. Scott Ryder wird in einer Woche in Loch Lomond den Highland Worldcup gewinnen. Heute freut er sich aber erst mal über seinen Siegerpreis.
Der Parkplatz mitten im Hafen hat zum Schlafen gereicht. Und auch als wir morgens verblüfft feststellen, dass wir die einzigen hier sind, stört uns das nicht. Scheinbar hat man den Parkplatz gestern Abend mit Stempen verriegelt und abgesperrt. Die werden heute schon noch aufmachen. Wir gehen jetzt erst Mal nach nebenan zum Schifferl´gucken.
Die Britannia hat an der Kaimauer ihr Rentendasein angetreten. Das ist sozusagen ihr Austragshäuserl´. Bis 1997 hat sie die Queen samt Ehemann, Kinder und Enkelkinder quer über alle Weltmeere getragen. Als gehobenes Ferienresort. Garantiert all-inklusive. Der abschließende Job des königlichen Schiffes war es gewesen, den letzten Gouverneur aus Hongkong heimzuholen. Passend: beide gingen gemeinsam in Rente.
Bis dahin waren unzählige Präsidenten, Könige und Künstler als geladene Gäste an Bord gekommen. Noch immer scheint man bereit zu sein für die Berühmten der Welt. Alles blitzt und glitzert wie in den besten Zeiten. Auch wenn die Britannia inzwischen für jedermann offen ist. Naja, seien wir ehrlich: kein gekröntes Haupt hat jemals hier Eintritt gezahlt. Wir schon. Und schließlich wurde der Dampfer je wegen seiner 30 Millionen Euro Jahreskosten aus dem Betrieb genommen. Da gehörte das Läuten der Schiffsglocke dazu, den Wintergarten zu putzen und das Bettenmachen im Queen-Schlafzimmer. Die Honeymoonsuite würde ich jetzt eher als schlechtes Omen betrachten. Meines Wissens hat keine Ehe gehalten, die hier drin begann.
Sehr deutlich wird auf der Britannia die Bedeutung des gesellschaftlichen Ranges. Königin und König residierten – mmh – adäquat, der Schiffsarzt etwas beengt, und der einfache Matrose litt sicher nicht unter Einsamkeit. Oder Langeweile. Schließlich waren noch die Schuhe zu putzen.
Zwei Abteilungen sind noch heute in Betrieb: Die Süßigkeiten Kantine und die Bordküche. Wie gesagt: Das Schiff muss sich amortisieren. Wenn man über eine größere Firma mit ausreichender Liquidität verfügt, steht einem gehobenen Abendessen mit seinen Geschäftskollegen in königlicher Atmosphäre, nichts entgegen. Schließlich saßen hier schon Clinton und Jelzin, Jaques Chirac und Gerhard Schröder.
Offen gesagt: die Offiziersbar - 2 Etagen tiefer - ist gemütlicher. Aber jetzt ist genug mit dem Museum. Auf ins Leben. Rein nach Edinburgh.
Edinburgh hat lange genug auf den Sommer gewartet. Jetzt ist er da. Wer kann – und man hat den Eindruck das tun viele – fährt mitten hinein. Da wo was los ist. Da wo die Hitze am dichtesten ist. Wo das Nichtstun am intensivsten ist. Und wo es unendlich viel zu sehen gibt. Der Reiz der Schottischen Hauptstadt liegt gerade im Kontrast. Alte, verwinkelte Stadthäuser mit ihrer rauen Patina sind genau die richtige Kulisse für das junge, das farbenfrohe Leben. Und vor allem die Royal Mile füllt sich mit Sehenswertem bis die Stadtbesichtigung endgültig zum Erliegen kommt.
Jede Reise geht einmal zu Ende. Leider sogar so eine wie in Schottland. Das Land verabschiedet uns mit der passenden Stimmung.